Randtief KARLA - 30., 31.12.2006 (Tief Nr. 23)
Wetterlage
Über dem Ostatlantik und über Westeuropa stellte sich zum Jahresende hin eine klassische Westwetterlage ein. Das steuernde Tief HENRIETTE lag am Morgen des 30.12. mit etwa 950 hPa westlich von Island. Ein erstes Randtief JESSICA sorgte zu diesem Zeitpunkt bereits für Sturmböen im Westen und Nordwesten Deutschlands. Ein zweites Randtief KARLA bildete sich aus einer Wellenstörung heraus über dem Ostatlantik, wie hier schön am wellenden Isobarenverlauf zu erkennen ist.
12 Stunden später, am Abend des 30.12. hatte sich Karla zu einem kleinen, aber intensiven Randtief mit signifikantem Druckgradienten ausgebildet. Das kleinräumige Sturmfeld führte im Süden Englands sowie im Norden Frankreichs gebietsweise zu Böen zwischen 80 und 90 km/h, an den Küsten auch zu orkanartigen Böen bis 111 km/h.
Zur Nacht auf Silvester hin hatte sich KARLA zu einem kleinen Orkantief entwickelt. Der Druckgradient an der Südseite des Tiefzentrums war beachtlich und führte auf Borkum zu Orkanböen bis 135 km/h. Nach den Prognosemodellen nationaler und internationaler Vorhersagedienste sollte das Hauptwindfeld unter Verstärkung über Nord- und Nordostdeutschland hinweg nach Osten ziehen.
Im Laufe der Nacht wanderte der Tiefkern über die deutsch-dänische Grenze hinweg nach Osten. An der Nordseeküste wurden auf der Rückseite des Kerns verbreitet Orkanböen erreicht. Spitzenreiter war Helgoland-Oberland mit 159 km/h. Im Flachland Schleswig-Holsteins wurden Spitzenböen bis Tempo 120 km/h erreicht und auf Rügen in den Morgenstunden Orkanböen bis 176 km/h. Im weiteren Verlauf schwächte sich KARLA auf ihrem Weg nach Osten ab und in Mitteleuropa konnte sich Zwischenhocheinfluss und vorübergehende Wetterberuhigung durchsetzen. Die immer noch dichten Isobarenabstände deuten aber weiterhin auf Starkwindverhältnisse hin.
In dieser Animation sehen Sie die Entwicklung des Luftdruckverlaufs im 3stündigen Abstand sowie die Windfeldentwicklung in 10 Metern Höhe.
Diese Animation zeigt die Windfeldentwicklung im Bereich des Orkantiefs im 925 hPa-Niveau. Hier wird die rasante Entwicklung angefangen von der Nordsee über Norddeutschland bis zur Ostsee deutlich.
Ausführliche Analyse der Wetterlage
Etwa ab dem 18.12. wurde das mitteleuropäische Wetter zusehends von antizyklonalen Druckverhältnissen geprägt. Über den Britischen Inseln nistete sich ein starkes Hochdruckgebiet ein, das seinen Keil bis nach Mitteleuropa ausdehnte. Am 21.12. lag der Kerndruck bei 1044 hPa über Südengland und dem Ärmelkanal. In den darauffolgenden Tagen setzte sich das Hoch unter langsamer Abschwächung über Mitteleuropa fest und somit lagen auch die Weihnachtsfeiertage meist unter Einfluss hohen Luftdrucks und einer markanten Inversionswetterlage mit Hoch- und Bodennebel. Die Großwetterlage stellte sich etwa ab dem 27.12. um: Die mitteleuropäische Hochdruckzone schwächte sich ab und zog sich nach Südeuropa zurück. An ihrem Nordrand machte sich am 28.12. bereits eine erste Störung mit KLA in Nord- und Ostdeutschland bemerkbar und über dem Nordatlantik konnte sich fortwährend eine großräumige Tiefdruckzone mit reichlich Kaltluft aufbauen. Dadurch flachte der Höhenhochkeil ins Mittelmeer ab und der Weg für weitere Störungsausläufer nach Mitteleuropa war frei. Ab dem 29.12. deutete sich dabei allmählich eine zyklonale Südwestströmung in Mitteleuropa an. Das von nun an steuernde Tiefdruckgebiet HENRIETTE blieb mit einem Kerndruck von wenig über 950 hPa im Seegebiet westlich Islands nahezu ortsfest und lenkte Randtiefs in rascher Folge über West- und Mitteleuropa hinweg nach Nordosten.
Das erste Randtief JESSICA bildete sich am 29.12. über dem Ostatlantik und zog am 30.12. unter Verstärkung nordostwärts über die Britischen Inseln hinweg weiter zum Europäischen Nordmeer. Die Frontalzone bestimmte an diesem Tag das Wetter in Deutschland mit schauerartig verstärkten Regenfällen und stark auffrischendem Wind mit teils schweren Sturmböen an der Nordseeküste und Sturmböen im Bergland bzw. Orkanböen im Oberharz.
Das zweite Randtief KARLA, auf das wir in dieser Übersicht gezielt eingehen, entwickelte sich am 30.12. ebenfalls über dem Atlantik aus einer Wellenstörung heraus. Am Mittag des 30.12. befand es sich mit einem Kerndruck von 1000 hPa zwischen den Isles of Scilly und Cornwall. Der Druckgradient führte an der Atlantikküste der Bretagne zu diesem Zeitpunkt zu schweren Sturmböen bis 94 km/h. Zum Nachmittag hin verlagerte sich der Kern rasch weiter in den Bristol Chanel südlich von Wales. Die zügige Verlagerung sowie die Weiterentwicklung des Randtiefs waren an dem Verlauf der Drucktendenzen eindrucksvoll zu beobachten: Um 16 Uhr MEZ sank der Luftdruck im Süden Englands um 6 bis 8 hPa in drei Stunden während er über dem Ostatlantik mit bis zu 9,4 hPa in selbigem Zeitraum wieder anstieg. Bis zum Abend wirkte sich das kleinräumige Sturmfeld des Tiefs auf den Süden Englands, den Ärmelkanal und den Norden Frankreichs aus. Die Spitzenwindgeschwindigkeiten lagen bei 111 km/h, wie z.B. die Station Isle Of Portland an der südenglischen Küste meldete. Um 19 Uhr lag der Kern von KARLA mit 997 hPa bereits über dem Osten Englands.
Der Grund für die rasche Verlagerung des Tiefs lag in dem starken Höhenwind. Der Jet in 500 hPa transportierte das Tief mit 100 bis 120 kn (185 bis 222 km/h) gen Ostnordost. Die Frontalzone erreichte am Abend ebenfalls mit einem Band schauerartig verstärkten Regens Deutschland von Westen her. Im äußersten Westen frischte der Südwestwind langsam auf. Bis um 22 Uhr MEZ wurden dann auch an der Küste Belgiens orkanartige Böen von 111 km/h wie in Oostende gemessen. In Westdeutschland traten Sturmböen, in den Mittelgebirgslagen auch schwere Sturmböen auf. Bis zum 31.12. 1 Uhr MEZ hat sich das Tief bis zur südlichen Nordsee verlagert und wies einen Kerndruck von 991 hPa auf. Das Hauptwindfeld hat zu diesem Zeitpunkt mit einer Konvergenzlinie die ostfriesischen Inseln erfasst. Vorderseitig des Tiefkerns sank der Luftdruck um bis zu 8,9 hPa in drei Stunden, auf der Rückseite steig er mit bis zu 8,6 hPa wieder an. Die MeteoGroup-Wetterstation auf Borkum registrierte eine Spitzenorkanbö von 135 km/h. In Nordrhein-Westfalen wurden verbreitet schwere Sturmböen erreicht, vereinzelt auch orkanartige Böen, wie am Düsseldorfer Flughafen mit 104 km/h. Der Druckgradient verstärkte sich auf der Rückseite des Tiefkerns deutlich, wodurch sich gleichzeitig das Windfeld intensivierte und daher erstmals zu Orkanböen führte. Die Hauptwindaktivität fand während der Zyklongenese über der südlichen Nordsee und im weiteren Verlauf in Nord- und Nordostdeutschland statt:
In der Nacht des 31.12. zog das Tief rasch über die deutsch-dänische Grenze hinweg zur Ostsee. Auf der Rückseite des Tiefkerns wurden über der Nordsee und an den Küsten zum Teil Orkanböen von bis zu 159 km/h wie auf dem Oberland Helgolands gemessen. Auch im Binnenland Schleswig-Holsteins wurden Orkanböen von bis zu 120 km/h erreicht; im norddeutschen Tiefland traten verbreitet Böen zwischen 80 und 94 km/h auf. Die Verstärkung des Druckgradienten wird erneut in den Drucktendenzen deutlich: Zwischen 3 und 4 Uhr MEZ sank der Druck vorderseitig des Tiefs auf den Dänischen Inseln mit bis zu 9,4 hPa in drei Stunden, auf der Rückseite stieg der Druck mit bis zu 12,8 hPa über der Nordsee wieder an. Bis um 5 Uhr MEZ registrierte eine Schiffsmeldung auf der Nordsee sogar einen Druckanstieg von 15,8 hPa.
Zum Morgen des 31.12. verlagerte sich das Hauptwindfeld weiter zur Ostsee. Bis um 6 Uhr MEZ sank der Luftdruck auf Hiddensee noch mit bis zu 10,3 hPa in drei Stunden (niedrigster Druckfall während der gesamten Entwicklung des Tiefs), im Norden Schleswig-Holsteins stieg der Druck mit 10 bis 13,3 hPa in selbem Zeitraum an. An der Ostseeküste wurden Orkanböen gemessen, auf Hiddensee bis um 7 Uhr MEZ sogar eine Spitzenbö von sage und schreibe 176 km/h. Zu diesem Termin lag das Tiefzentrum über Südschweden mit 996 hPa. In Flachland Ostdeutschlands wurden verbreitet teils schwere Sturmböen gemessen, in den Hochlagen der Mittelgebirge ebenfalls Orkanböen.
Im Rest des Landes beruhigte sich das Wetter zwar wieder, es blieb aber starkwindig und es wurden weiterhin einzelne Sturmböen gemessen, an der Nordseeküste schwere Sturmböen. An der Nordseeküste sowie entlang der Elbe bis Hamburg kam es am Morgen und Vormittag darüber hinaus zu einer leichten Sturmflut mit Wasserständen von zum Teil über 1,20 m über dem normalen Hochwasser. Mit Passage des Sturmfeldes gab es verbreitet im Land Schäden beispielsweise durch umgeknickte oder entwurzelte Bäume und Stromausfälle. Im Laufe der Vormittagsstunden beruhigte sich die Lage in Deutschland durch den Abzug und der Abschwächung des Orkantiefs gen Osten in Richtung Baltikum. Orkanböen wurden am Vormittag nur noch auf Rügen erreicht. Am Mittag traten dann auch im Flachland Ostdeutschlands keine Sturmböen mehr auf. Es setzte sich vorübergehend Zwischenhocheinfluss durch, im Norden und Nordosten kam es in der auf der Tiefrückseite eingeflossenen kühleren Meeresluft zu Schauern und einzelnen Gewittern. Ein weiteres Randtief (LOTTE, vgl. Tief #24), entwickelte sich zeitgleich über den Britischen Inseln und beeinflusste am Silvesterabend und über den Jahreswechsel mit einem erneuten Sturm das Wetter in Mitteleuropa.
Infrarot-Satellitenbilder
Dieses Infrarot-Satellitenbild zeigt Orkantief KARLA mit einem klassischen uns markant ausgeprägten Wirbel am 31.12. nachts um 1 Uhr MEZ mit ihrem Zentrum über der südlichen Nordsee. Die Kaltfront überquert den Osten und Südosten Deutschlands.
Um 4 Uhr MEZ lag das Zentrum über den dänischen Inseln. Schauerstaffeln ziehen auf der Rückseite des Tiefs mit Höhenkaltluft von der Nordsee nach Deutschland.
Um 7 Uhr MEZ befand sich der Kern des Orkantiefs KARLA über der Ostsee bzw. Südschweden. Die Verwirbelung dieses kleinen Tiefs ist beachtlich. Zu dieser Zeit wurde Rügen vom Orkanfeld mit Spitzenböen von über 170 km/h betroffen.
Vorhersage
Die Randtiefentwicklung hatten die führenden nationalen und internationalen Vorhersagedienste frühzeitig erkannt. Jedoch waren sie sich in der Berechnung der Zugbahn und Intensität nicht einig. Das GFS berechnete neben dem GME 48 bis 24 Stunden vorher die stärkste Variante mit einem markanten Orkanfeld im 925 und 850 hPa-Niveau über Norddeutschland. Durch das vorangehende Sturmereignis JESSICA haben die Meteorologen frühzeitig in ihren Vor- und später in ihren Akutwarnungen auf die unsichere Entwicklung eines schweren Sturms durch Randtief KARLA mit der Gefahr von Orkanböen in ihren Vor- bzw. Akutwarnungen hingewiesen. 24 bis 18 Stunden vor Ereignisbeginn gaben die Meteorologen der UWZ zum Teil neue Vorwarnungen in Norddeutschland heraus, als sich die Prognose eines Orkanfeldes weiter bestätigte. 6 bis 12 Stunden zuvor traten die UWZ-Mets in die Akutwarnphase ein.
Unwetterzentrale: Animation der Warnlage
Diese Warnanimation zeigt das Warnverhalten der Unwetterzentrale am 30.12.2006. In der Nacht und in den Frühstunden wurden noch Vorwarnungen für Sturm ausgegeben. Als die neuen Prognosemodelle am Nachmittag des 30.12. eintrafen, gingen die Meteorologen der UWZ in die Akutwarnphase über. Sie rechneten in den rot eingefärbten Gebieten mit orkanartigen Böen, in Norddeutschland auch mit Orkanböen. Die Modellberechnungen divergierten aber noch in der Berechnung, wo das Hauptwindfeld genau entlang ziehen würde. Die ostfriesischen Inseln galten zunächst als sicher in Bezug auf Orkanböen von mehr als 130 km/h, in Folge dessen die UWZ in der höchsten Stufe warnte.
Spitzenböen (ab 118 km/h) - 30.12. 19 Uhr bis 31.12. 14 Uhr
Quellen der Daten: Messnetze MeteoGroup, DWD, Auswahl
- 176 km/h - Hiddensee-Dornbusch
- 165 km/h - Helgoland-Oberland
- 156 km/h - CH: Kleines Matterhorn
- 148 km/h - Brocken
- 143 km/h - Pellworm
- 141 km/h - Strucklahnungshörn, Kiel/Leuchtturm; A: Feuerkogel
- 139 km/h - Greifswalder Oie (MM)
- 137 km/h - Kap Arkona/Rügen, List/Sylt-Ellenbogen
- 135 km/h - Borkum (MM)
- 133 km/h - Hörnum/Sylt, Westermarkelsdorf
- 130 km/h - Stralsund, Wendelstein
- 126 km/h - Fichtelberg, Hallig Gröde, Wasserkuppe, Weinbiet, Zugspitze
- 124 km/h - Großer Kornberg, Hiddensee-Dünenheide, Wilhelmshaven (MM)
- 122 km/h - Amrum, Putbus/Rügen
- 120 km/h - Dahme/Ostsee, Itzehoe
- 119 km/h - Boltenhagen, Elpersbüttel, Hallig Hooge, St. Peter-Ording
Diese Analyse wurde von Manfred Spatzierer und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentralen Deutschland und Österreich, im Januar 2007 erstellt.
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