Analyse zur Tornadolage am Pfingstmontag 2010

Am Pfingstmontag, den 24.05.2010, zogen schwere Unwetter vor allem über den Osten Deutschlands hinweg und richteten Schäden in dreistelliger Millionenhöhe an. Die Gewitter waren mit Starkregen und Hagel, sowie Orkanböen und Tornados verbunden. Da ein sehr großes Gebiet betroffen war, gestaltete sich die Analyse dieses Unwetterereignisses als sehr schwierig. Inzwischen steht fest, dass die enormen Schäden durch heftige Gewitterböen und mehrere Tornados verursacht wurden.

Auswirkungen
Besonders betroffen war ein schmaler Streifen, der sich etwa von Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt über Belgern (Sachsen) und Mühlberg (Brandenburg) sowie Großenhain (Sachsen), Radeburg und Radeberg bis in den Bereich südöstlich von Dresden erstreckte. Die Schäden reichten von Tausenden umgestürzten Bäumen über beschädigte oder zerstörte Dächer bis hin zu zahlreichen von Trümmern und Bäumen getroffenen Autos. An vielen Orten konnte die Ursache für die Schäden bisher nicht einwandfrei geklärt werden und oft waren heftige Gewitterböen beteiligt. In mindestens vier Bereichen gehen wir derzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit von Tornados aus.

Zerstörungen bei Moschwig - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch
Abb. 1: Zerstörungen bei Moschwig - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch

Südlich von Bad Schmiedeberg konnte bei Moschwig der erste Tornado nachgewiesen werden. Das Fallmuster der Bäume und der Verlauf der Schneise wiesen deutlich auf einen Tornado hin. Im weiteren Verlauf der Schadenspur spricht auch im Bereich Puschwitz / Staritz sowie bei Streumen einiges für weitere Tornados. Von Bauda über Walda-Kleinthiemig und Großenhain bis nach Rostig richtete dann ein starker Tornado erhebliche Schäden an. Die Stärke dieses Tornados dürfte im oberen Bereich der Stufe F2 (Windgeschwindigkeiten bis etwa 255 km/h) oder sogar im unteren Bereich der Stufe F3 auf der Fujitaskala liegen. Mehr zur Fujitaskala weiter unten in dieser Analyse.

Zerstörungen in Walda-Kleinthiemig - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch
Abb. 2: Zerstörungen in Walda-Kleinthiemig - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch

Zerstörungen bei Walda-Kleinthiemig – Foto: Heiko Wichmann
Abb. 3: Zerstörungen bei Walda-Kleinthiemig – Foto: Heiko Wichmann

Zerstörungen in Walda-Kleinthiemig - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch
Abb. 4: Zerstörungen in Walda-Kleinthiemig - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch

Zerstörungen in Großenhain - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch
Abb. 5: Zerstörungen in Großenhain - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch

Am schlimmsten betroffen war in Großenhain der Bereich um die Papierfabrik, wo ein ehemals 96 Meter hoher Schornstein über dem unteren Drittel abbrach. Auf dem gesamten Fabrikgelände entstanden enorme Schäden. Größere Gegenstände wurden über weite Strecken verfrachtet, so schossen schwere Dachbalken durch Dächer und Wände hindurch. Gegenüber der Papierfabrik wurde ein Teil eines Plattenbaus unbewohnbar und ein tonnenschweres Betonteil wurde über das Gebäude hinweg auf einen PKW geschleudert.

Zerstörungen in Großenhain – Foto: Heiko Wichmann
Abb. 6: Zerstörungen in Großenhain – Foto: Heiko Wichmann

Zerstörungen in Großenhain – Foto: Heiko Wichmann
Abb. 7: Zerstörungen in Großenhain – Foto: Heiko Wichmann

Zerstörungen in Großenhain – Foto: Heiko Wichmann
Abb. 8: Zerstörungen in Großenhain – Foto: Heiko Wichmann

Im Bereich östlich und südöstlich von Dresden konnte zumindest bisher kein Tornado mehr nachgewiesen werden. Hier entstanden vor allem großflächigere Schäden und teilweise wurden ganze Waldflächen zerstört.

Zerstörungen bei Leppersdorf bei Dresden - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch
Abb. 9: Zerstörungen bei Leppersdorf bei Dresden - Pilot: D. Bäcker, Foto: N. Rupsch

In den ersten Meldungen war von einem einzigen Tornado die Rede mit einer rekordverdächtigen Schneisenlänge von rund 100 Kilometern. Die bisher längste bekannte Schneise durch einen Tornado in Deutschland entstand im Januar 1916, als ein sehr starker Tornado von Nordwest nach Südost durch Bayern zog und auf einer Strecke von ca. 85 Kilometern enorme Schäden anrichtete. Erst nach langwierigen Untersuchungen ergab sich, dass es nicht ein einziger Tornado war, der die enormen Schäden anrichtete, sondern ein Zusammenspiel aus mehreren Tornados und zahlreichen Downbursts (Gewitterfallböen).

Wetterlage
Am 24.05.2010 stellte sich vor allem über der Nordhälfte Deutschlands zwischen einem kräftigen Skandinavientief und höherem Luftdruck über dem Alpenraum vor allem in höheren Luftschichten der Atmosphäre eine starke nordwestliche Strömung ein. Hinter der Kaltfront des Skandinavientiefs strömte kühle Meeresluft in den Norden Deutschlands, während weiter südlich noch subtropische Warmluft wetterbestimmend war.

Wetterlage am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ
Abb. 10: Wetterlage am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ

Bodennahe wehte am Vormittag des 24.05.2010 über Nordostdeutschland recht schwacher Wind aus West bis Südwest. Gleichzeitig nahm der Höhenwind aus West bis Nordwest deutlich zu. Dadurch entstand starke, so genannte vertikale Windscherung. Damit ist gemeint, wenn der Wind mit der Höhe zunimmt und dabei seine Richtung ändert. Ist die Windscherung besonders groß, sind die Bedingungen für die Tornadobildung im Bereich von Schauern und Gewittern sehr günstig. Die folgenden Karten zeigen die Wind in ca. 1500 Meter Höhe und am Boden um 11 Uhr MESZ (09Z) und um 14 Uhr MESZ (12Z).

Wind in ca. 1500 Meter Höhe am 24.05.2010, 11 Uhr MESZ
Abb. 11: Wind in ca. 1500 Meter Höhe am 24.05.2010, 11 Uhr MESZ

Bodenwind am 24.05.2010, 11 Uhr MESZ
Abb. 12: Bodenwind am 24.05.2010, 11 Uhr MESZ

Wind in ca. 1500 Meter Höhe am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ
Abb. 13: Wind in ca. 1500 Meter Höhe am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ

Bodenwind am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ
Abb. 14: Bodenwind am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ

In der folgenden Karte ist die Scherung in den untersten zwei Kilometern der Atmosphäre dargestellt. Am Nachmittag des 24.05.2010 war sie in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen besonders groß.

Scherung 0 bis 2 km Höhe am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ
Abb. 15: Scherung 0 bis 2 km Höhe am 24.05.2010, 14 Uhr MESZ

Radarbilder
Die Radarbilder zeigten am Nachmittag des 24.05.2010 die Bildung einer so genannten Superzelle, einem langlebigen und durch die starke Windscherung rotierenden Gewitter. Diese Superzelle zog von Sachsen-Anhalt nach Sachsen. Dabei bildete sich ein so genannten Hookechos (Hook = Haken) aus, das ein deutliches Anzeichen für einen rotierenden Aufwind im Bereich einer Superzelle ist. Dabei drehten sich die Niederschläge um den Aufwindbereich mit dem bzw. den Tornado(s) herum ein. Dies ist auch die Ursache dafür, dass es bisher keinerlei Fotografien des Tornados selbst gibt, da er komplett von Regen und Hagel eingehüllt war.

Radarbild am 24.05.2010, 14:30 Uhr MESZ
Radarskala
Abb. 16: Radarbild am 24.05.2010, 14:30 Uhr MESZ

Radarbild am 24.05.2010, 14:45 Uhr MESZ
Radarskala
Abb. 17: Radarbild am 24.05.2010, 14:45 Uhr MESZ

Radarbild am 24.05.2010, 15:40 Uhr MESZ
Radarskala
Abb. 18: Radarbild am 24.05.2010, 15:40 Uhr MESZ

Windböen und Windrichtung am 24.05.2010, 15:00 Uhr MESZ
Abb. 19: Windböen und Windrichtung am 24.05.2010, 15:00 Uhr MESZ

Windböen, Windrichtung und Radar am 24.05.2010, 15:40 Uhr MESZ
Radarskala
Abb. 20: Windböen, Windrichtung und Radar am 24.05.2010, 15:40 Uhr MESZ

Warnungen
Die folgende Karte zeigt alle von der Unwetterzentrale am 24.05.2010 ausgegebenen Warnungen. Im Bereich des ersten bisher bekannten Tornados südlich von Bad Schmiedeberg (Sachsen-Anhalt) galt zum Zeitpunkt des durchziehenden Gewitters die Warnstufe rot mit der Gefahr von schweren Sturmböen. Mit der zunehmenden Ausbildung des Hookechos konnten wir etwa ab Torgau bis in den Bereich südöstlich von Dresden Gewitterwarnungen der Warnstufe violett ausgeben. Damit verbunden waren Hinweise auf mögliche Orkanböen und teilweise auch auf die Gefahr von Tornados.

Karte der Unwetterzentrale mit allen am 24.05.2010 ausgegebenen Warnungen
Abb. 21: Karte der Unwetterzentrale mit allen am 24.05.2010 ausgegebenen Warnungen


Allgemeines über Tornados in Deutschland
In Deutschland ziehen in jedem Jahr mehrere Dutzend Tornados über das Land. Die genaue Zahl steht noch lange nicht fest, da erst seit Ende der 1990er Jahre wieder verstärkt Tornadoforschung bei uns betrieben wird. Das war einmal anders: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Deutschland weltweit führend auf dem Gebiet. U.a. engagierten sich der Meteorologe und Geophysiker Alfred Wegener und in den 1930er Jahren Prof. Johannes Peter Letzmann bei der Untersuchung von den damals noch als Windhosen oder Tromben bezeichneten kleinräumigen Wirbeln. Die Tornadoforschung kam durch den Zweiten Weltkrieg völlig zum Erliegen und im beginnenden Medienzeitalter entstand ab den 1960er Jahren das schiefe Bild, dass in den USA viele starke Tornados und bei uns vergleichsweise „harmlose“ Windhosen auftreten.

Dieses Bild ist aber falsch. Die Schäden durch Tornados in Deutschland gehen jährlich weit in die Millionen. Dabei sind die meisten Tornados hier – wie auch in den USA – nur schwach und richten kaum Schäden an. Nur wenige sind so stark, dass sie innerhalb einer Schneise nahezu alles zerstören. Diese Schneise kann etwa zwischen 20 und mehreren Hundert Metern breit sein, in Extremfällen auch einen Kilometer und mehr. Die Lebensdauer eines Tornados beträgt zwischen einigen Sekunden und mehr als eine Stunde. Dabei legt er eine Strecke von wenigen Metern bis manchmal einigen Dutzend Kilometern zurück.

Tornadoschäden der Stärke F3 am 18.07.2004 in NRW, Foto: Thomas Sävert
Abb. 22: Tornadoschäden der Stärke F3 am 18.07.2004 in NRW, Foto: Thomas Sävert

Die Fujita-Skala
Diese international gebräuchliche Skala wurde im Jahre 1971 durch den Meteorologen Tetsuya Theodore Fujita in den USA entwickelt. Sie schuf die Möglichkeit, Tornados nach den Schäden einzuordnen.

Stufe F0 - Windgeschwindigkeiten: 63 bis 117 km/h
Schäden: Äste brechen, Dachziegel werden abgedeckt

Stufe F1 - Windgeschwindigkeiten: 118 bis 183 km/h
Schäden: Bäume entwurtelt/gebrochen, Dächer z.T. abgedeckt

Stufe F2 - Windgeschwindigkeiten: 184 bis 254 km/h
Schäden: Fast alle Bäume stürzen um, erste Mauereinstürze

Stufe F3 - Windgeschwindigkeiten: 255 bis 334 km/h
Schäden: erste Häusereinstürze, PKW werden fortgetragen

Stufe F4 - Windgeschwindigkeiten: 335 bis 420 km/h
Schäden: Totalschäden an Gebäuden, Baumentrindung

Stufe F5 - Windgeschwindigkeiten: über 420 km/h
Schäden: völlige Zerstörung und Verfrachtung

Entstehung von Tornados
Man unterscheidet zwischen Tornados, die im Bereich einer so genannten Superzelle entstehen, und solchen, die mit Schauern oder schwächeren Gewittern verbunden sind. Unter Superzellen versteht man langlebige (über Stunden) Gewitter, die Rotation aufweisen. Es gibt derzeit unterschiedliche Theorien, wie aus dieser großräumigen Rotation der kleinräumige Tornadoaufwind hervorgeht. Man kennt aber die Zutaten, die nötig sind, damit Superzellen und Tornados entstehen können. Dazu gehört neben labiler Schichtung der Troposphäre und starkem Wind in der Höhe auch erhöhte Luftfeuchtigkeit am Boden. Die meisten Tornados der Stufen F3 bis F5 auf der Fujita-Skala gehen aus Superzellen hervor.

Hauptgefahren / Sicherheitshinweise
Gefährlich sind Tornados vor allem durch ihr recht plötzliches Auftreten. Neben den hohen Windgeschwindigkeiten und den daraus resultierenden Schäden besteht erhöhte Gefahr durch umher fliegende Trümmer. Daher sollte man beim Aufzug eines Tornados einen fensterlosen Raum (Keller, Flur oder Bad) in einem stabil gebauten Haus aufsuchen. Ist man in der freien Natur unterwegs, bringt man sich am besten in einem Graben oder einer Mulde in Sicherheit. Auch in einem PKW ist man nicht sicher, durch einen stärkeren Tornado können auch diese durch die Luft gewirbelt werden.

Vorhersagbarkeit von Tornados
In begrenztem Maße sind Warnungen auch vor Tornados möglich. Sie erfolgen wie in den USA in einem dreistufigen System: Steht eine tornadoträchtige Wetterlage an, weisen die Meteorologen der MeteoGroup-Unwetterzentrale im Lagebericht zeitig auf die Gefahr hin. Werden die Hinweise auf mögliche Tornados konkreter und lassen sich die möglicherweise betroffenen Regionen näher eingrenzen, dann sind regional Vorwarnungen für einzelne Gebiete möglich. Die einzelnen Gewitterzellen werden von den Meteorologen per Radar verfolgt und Dopplerradardaten können Hinweise auf vorhandene Rotation und das Auftreten einer Superzelle geben. Sind diese konkret genug oder werden sogar durch Augenzeugenbeobachtungen gestützt, erfolgt eine Tornadowarnung für den unmittelbaren Gefahrenbereich. Dabei arbeitet die Unwetterzentrale eng mit dem Verein Skywarn e.V. zusammen, in dem sich Wetterbeobachter und Sturmjäger aus Deutschland organisiert haben. Die Vorwarnzeiten liegen meist im Bereich von wenigen Minuten, in seltenen Fällen auch bei etwa 20 Minuten.

Tornados und Klimawandel
Seit den späten 1990er Jahren ist die Zahl der registrierten Tornados in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, deutlich angestiegen. Die genaue Zahl ist dabei nicht bekannt, für eine aussagekräftige Statistik reichen die vorliegenden Zahlen derzeit noch nicht aus. Der Hauptgrund für den markanten Anstieg dürfte in der wieder auflebenden Tornadoforschung in Deutschland zu suchen sein. Das steigende Interesse der Medien und der Bevölkerung, die Verbreitung von Handys und Digitalkameras sowie des Internets sind weitere Gründe. Ob sich Zahl und Stärke von Tornados durch den Klimawandel verändern, ist nicht bekannt.

Diese Zusammenstellung wurde von Thomas Sävert, Meteorologe der Unwetterzentrale Deutschland, im November 2010 erstellt.

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